Freitag, 29. Oktober 2010

Sündenböcke nötig ? - Kachelmann, Loveparade und co.

Am biblischen Versöhnungstag (Jom Kippur) wurden in dessen Verlauf zwei Böcke herbeigeführt.  Einer wurde als Opfergabe zum Zeichen der Sühne für den Herrn ausgelost, der andere war bestimmt für Asasel, einen Wüstendemon. Dem Bock Asasels wurden vom Hohepriester alle Sünden des ganzen Volkes auferlegt, anschließend wurde er in die Wüste gejagt.

Für Menschen ist es wichtig, dass die Ursachen von unerwünschten Ereignissen, wie Natur- und Technik-Katastrophen, Mord,  Totschlag und Verletzungen durch Gewalteinwirkung, sowie seelische Traumatisierung oder große Frustration erklärt bzw. aufgeklärt werden können. Die vollständige Aufklärung ermöglicht uns den oder die Schuldigen bzw. die Ursache(n) dingfest zu machen und führt im Regelfall zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Vor allem dann, wenn man feststellen kann, keinen Beitrag zur Entstehung des unerwünschten Ereignisses bzw. Zustands geleistet zu haben.

Ist man aber Urheber eines solchen Ereignisses, so gibt den neben dem Bekenntnis der Schuld, auch die häufig gebrauchte Möglichkeit andere zum Schuldigen - zum Sündenbock für das eigene falsche Verhalten zu machen, es schützt ja schließlich den Schuldigen vor einer beschädigten Integrität, was zugleich zeigt, dass man bei der Wahl der Aufklärer nicht den Bock zum Gärtner machen darf. Horrorfilme und Nazizeiten belegen diesen besonders perfiden Dreh. Ausgerechnet der/die Täter klären freundlicherweise mit großem Einsatz den Fall auf - klar, dass dann die Schuld woanders liegt nur nicht beim Täter. 

Was geschieht nun in Situationen, in denen die Ursachen bzw. die Schuld weder eindeutig noch rasch zu ermitteln ist ? Besonders in Zeiten mit modernen Medien, wie heutzutage, wird die Lage komplex und unübersichtlich.

Nehmen wir ein paar aktuelle Fälle:
 
Beispiel 1 - Kachelmann (2010)
Hier steht vermutlich Aussage gegen Aussage und es bleiben zwei Möglichkeiten; er hat seine ehemalige  Freundin vergewaltigt oder er hat sie nicht vergewaltigt. 
Nach Kachelmanns Freilassung werden Interviews in Mannheim auf der Straße geführt (wahrscheinlich 10 bis 20), bei den drei Interviews, die über den Äther kommen, ist folgende Antwort (sinngemäß) einer Passantin dabei, die sagt: „Ich wünsche, dass von ihm vergewaltigt wurde, damit solche Kerle (Vergewaltiger) nicht ungestraft davon kommen. Denn wenn er nicht bestraft wird, werden sich wohl kaum noch Frauen trauen gegen Vergewaltiger auszusagen.“  Die Auswahl von Aussagen in den Medien orientiert sich an dem was sich verkauft und nicht an dem was das Gericht als Wahrheit herausfinden wird. Denn dies braucht Geduld und liefert nicht nur keine schnelle Schuldzuweisung und Verurteilung sondern kann sogar dazu führen, dass keine klassische Täter-Opferzuweisung stattfinden kann. Da machen die Medien schon einmal gerne jemand zu Sündenbock, „schließlich wollen die Leute sich das Maul zerreißen über andere Leute...“     

Beispiel 2 - Loveparade 2010 in Duisburg
Menschliches Versagen war es wohl, das zum Unglück bei der Loveparade führte, soviel scheint fest zu stehen, mehr aber auch nicht.
Da viele Beteiligte - Veranstalter, Loveparade-Besucher, Polizei, Projektplaner, Politiker, Stadtverwaltung, Polizei, Sicherheitsexperten, besondere (unvorhersehbare) Umstände zum Zeitpunkt des Unglücks - eine Rolle spielten, wird es nicht nur lange dauern bis eine abschließende Klärung, wenn überhaupt stattgefunden hat, es wird auch voraussichtlich unbefriedigend für die meisten direkt oder indirekt Betroffenen enden.
Da zu viele verstrickt sind findet ein Eiertanz der Schuldzuweisungen statt und der Bürgermeister der Stadt Duisburg soll dafür medienwirksam den Kopf hinhalten. Lieber einen Politiker als Sündenbock als geduldig aufklären....

Beispiel 3 - Tagebuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald geschändet (Juli 2010)
Endlich mal ein Fall der klar ist. Es waren die Neonazis ! Schließlich haben sie ihre Visitenkarte auf der  Webseite hinterlassen. In diesem Fall benötigt also niemand einen Sündenbock.
Auch wenn der Fall hier wirklich klar sein sollte, sollte hier daran erinnert werden, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss. Auch in ähnlichen Situationen spielten die Medien, die Gesellschaft und die Politik  schon wiederholt merkwürdige Rollen. Zum Beispiel bei den vom Stern veröffentlichten Hitler-Tagebüchern, die sich als gefälscht erwiesen, oder beim Versuch die NPD zu verbieten, als sich zeigte, dass BKA-Leute selbstgemachte „Beweise“ schufen. Übrig bleibt in diesem Fall zumindest die Frage, ob Neonazis wirklich so dumm sind, dass sie für einen Medien- und Userrummel auf der Webseite www.buchenwald.de sorgen, denn kurz nach dem Häckerangriff steht bereits wieder die lückenlose Dokumentation über die KZ-Greuel zur Verfügung, ob das im Sinne der Häcker war ?

Beispiel 4 - Reichstagsbrand 1933
Wer hat ihn nun denn angesteckt ?  Auch knapp 80 Jahre nach dem Reichstagbrand ist diese Frage spannend wie zuvor. Zum Sündenbock - möglicherweise im doppelten Sinne - wurde der holländische Kommunist und Anarchist Marinus van der Lubbe. Aufarbeitungen Ende der 50ziger/Anfang der 60ziger Jahre vom Spiegel-Magazin und beim Bertelsmann-Verlag zeigen, dass alte Nazi-Seilschaften dubiose Rollen spielten.
In jedem Falle wurde van der Lubbe von den Nazis als Argument dafür gebracht, brutalst möglich Kommunisten zu verfolgen und Deutschland von politisch anders denkenden zu „säubern“. Selbst wenn  van  Lubbe der Täter war, war ihm wohl nicht bewusst, dass er nicht mehr als ein von den Nazis gewünschtes Werkzeug war um den Reichstag, das Symbol für die Weimarer Demokratie, zu zerstören.        

Die Nutzung von Tandemeffekten für politische  Ziele ist sicher nicht auf die Nazizeit beschränkt, wie der  Tod von Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien 1967, zeigt. War es beim Reichstagsbrand noch das Zusammenwirken von Nazi und Kommunisten, das Sündenböcke hervorbrachte, war
es 1967 scheinbar die APO und Studentenrevolte, die Deutschland in Unordnung stürzen wollte. 2009, nachdem bekannt wurde, dass die STASI ihre Finger mit im Spiel hatte, zeigte sich, dass vor allem zwei ihren Gewinn daraus ziehen konnten: Dem SED-Unrechtsstaat und der Springer-Presse gelang es in einem Teamwork des Hasses den Deutsch-Deutschen Graben zu vertiefen und die revoltierende Jugend (im Westen) und den Klassenfeind (im Osten) zu verteufeln. Verlierer war das deutsche Volk bis Gorbatschow und Udo Lindenberg kamen, um den „verdummten manipulierten Kälbern“ zu zeigen, dass es auch anders geht. 


Ernesto O.

Original: http://www.raumzeitwellen.de/Home/Blog/Eintrage/2010/7/29_Sundenbocktheorie_-_Kachelmann,_Loveparade_und_co..html

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen